Die Kirche und die Religionen


Vortrag von Kardinal Scheffczyk am 21. Mai 2005 in München


In einem überfüllten Hotelsaal der Münchner Innenstadt erläuterte Kardinal Scheffczyk die Bedeutung und die geschichtlichen Hintergründe der „Erklärung DOMINUS JESUS. Über die Einzigkeit und Heilsuniversalität Jesu Christi und der Kirche“, die die Römische Kongregation für die Glaubenslehre im Jahre 2000 veröffentlicht hatte, damals unter der Leitung von Joseph Kardinal Ratzinger. Kardinal Scheffczyk ging in seinen Ausführungen auch auf die ökumenischen Auseinandersetzungen ein und auf die Beziehung zu nicht-christlichen Religionen. Bei der anschließenden, sehr regen Diskussion war eine gewisse Sehnsucht nach Spiritualität der in allen zivilen Lebensbereichen tätigen Teilnehmer deutlich zu erkennen. Der Vortrag wurde vom Alten Orden vom St. Georg organisiert, dessen Sitz in Wien ist (mit Mag. Gundakar Prinz von und zu Liechtenstein als Gouverneur und Peter Graf zu Stolberg-Stolberg als Ordenskanzler).

Hier der Wortlaut des Vortrages von Kardinal Scheffczyk:

Verehrte Ritter vom Alten Orden des Hl. Georg!

Mit einem repräsentativen Convent Ihres Ordens ist gewiss auch das Anliegen verbunden, das in Ihrer Satzung verankerte Bekenntnis zum christlichen Glauben zu bedenken und zu vertiefen. Diesem Anliegen möchte das vorliegende Thema über “die Kirche und die Religionen” dienen, das einer genauso wesentlichen wie aktuellen Frage nachgeht. Die Darbietung dieses Themas soll an dem authentischen Text ausgerichtet werden, den im Jahre 2000 (6.8.2000) die Römische Kongregation für die Glaubenslehre in der “Erklärung Dominus Jesus. Über die Einzigkeit und Heilsuniversalität Jesu Christi und der Kirche” veröffentlichte, damals unter der Leitung und Initiative von Kardinal Joseph Ratzinger, seit 19.4.2005 Inhaber des Petrusamtes in der Kirche.

Einzigkeit und Universalität der Kirche Christi
In den Tagen seiner Wahl zum Papst und zuvor schon in der Zeit nach dem Tod Johannes Pauls II. Hätte man aufgrund des außergewöhnlichen Medieninteresses an diesen Ereignissen den Eindruck gewinnen können, als ob die Welt katholisch geworden wäre. Dieser Eindruck war natürlich unzutreffend. Dennoch konnte der katholische Christ mit diesem äußeren Eindruck ein Wahrheitsmoment in Verbindung bringen, nämlich die Glaubensüberzeugung, dass die katholische Kirche eine bemerkenswerte Einheit verkörperte und universal auf alle Menschen ausgerichtet und das Ganze umfassend, d.h. auch erfahrbar katholisch sei. Es war dies aber nichts anderes als die von den ersten Glaubensbekenntnissen an vertretene Wahrheit von der einen (= einzigen), heiligen, katholischen und apostolischen Kirche. Dabei stehen die beiden Merkmale der Einzigkeit und der Universalität nach dem Verständnis der Christen in einer inneren Verbindung miteinander; denn eine von Christus für die Menschen geschaffene, einzige Kirche kann diesen Anspruch nicht mit einer anderen Größe teilen, weil anders die Einzigkeit verlorenginge. Sie muss als einzige für die Menschen bestimmte Kirche zugleich auch universal sein.

Dieser christliche Anspruch, der seit den Ursprüngen des Christentums allgemein erhoben wurde, traf schon in der Anfangszeit auf heftigen Widerspruch der vielen Gegner der neuen Religion. Er war weder für die umgebende antike Welt noch für die der Kirche zugehörenden Menschen eine Selbstverständlichkeit. Aus der Geschichte der frühen Kirche wissen wir, dass die heidnischen Philosophen gegen diesen Anspruch der Kirche heftig polemisierten. Der heidnische Philosoph Celsus versuchte in der Auseinandersetzung mit dem Theologen Origenes (um die Mitte des dritten Jahrhunderts) nachzuweisen, dass es unsinnig sei, all Völker, Griechen und Barbaren, unter einem Gesetz, d.h. in einer Religion zur Einheit zusammenzubringen. “Wer das behauptet, versteht nichts”, hielt Celsus dem Origenes entgegen. Aber auch die Kirche selbst hatte gegenüber den Abspaltungen, den Häresien, die eine andere, bessere, vollkommenere, heiligere Kirche wollten, die universale Einheit zu verteidigen.

Sie tat es seit der Mitte des dritten Jahrhunderts mit dem oft missverstandenen Grundsatz: “Extra ecclesiam nulla salus” (= außerhalb der Kirche kein Heil). Dieser Satz wollte aber nicht als dogmatische Aussage über das Unheil von Nichtchristen gewertet werden; er war vielmehr praktisch-pastoral an die Gläubigen gerichtet, die sich von der Kirche trennen wollten. Er wollte objektiv festhalten, dass es in der Welt nach Christus nur diese eine ordentliche Heilsanstalt, den einen von Christus gebahnten ordentlichen Heilsweg gebe. Wo es um Gnade und Heil einzelner ging, wussten schon die Alte Kirche und die Kirchenväter, dass es auch unter den Heiden von Christus Erleuchtete und gottgefällige Seelen gäbe, aber kein der Kirche gleiches Heilsorgan. Diese Lehre ist im Grunde bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil festgehalten worden, welches verkündete, dass “die einzig wahre Religion … verwirklicht ist in der katholischen und apostolischen Kirche, die von Jesus dem Herrn den Auftrag erhalten hat, sie unter allen Menschen zu verbreiten” (Dignitatis humanae, 1). Sie ist die “Einheit des mystischen Leibes, ohne die es kein Heil geben kann” (Lumen Gentium, 26). In ihr ist der Menschheit das “eine allumfassende Sakrament des Heils” (Lumen Gentium, 48) gegeben.

Gründe für „Dominus Jesus“
Es gehört nun zu den schicksalhaften geistesgeschichtlichen Wendungen, dass diese Glaubensüberzeugung in der Moderne, zumal in der postkonziliaren Zeit, selbst unter Christen ins Wanken geraten ist. Die Erklärung “Dominus Jesus” geht zunächst den Gründen für diesen Wandel nach, weil in ihm der Anlass und der Grund gelegen ist für den Erlass dieses Lehrschreibens.

1) Die geistesgeschichtliche Wende

Die “Erklärung” benennt zu Beginn einige in der veränderten Geistessituation gelegenen Gründe, die für die Distanzierung von dieser Grundwahrheit oder für ihre Preisgabe ausschlaggebend sind. Es sind Gründe philosophischer Art, die dann auch die theologische Einstellung bestimmen, vor allem die Einstellung des Menschen zur Wahrheit. Schon die philosophische Wahrheitsauffassung ist heute in die Fänge des Relativismus geraten, der alle Wahrheit von der Subjektivität des Menschen abhängig macht. Danach hat jeder Mensch in den entscheidenden Fragen seine eigene Wahrheit, so dass das “was für die einen wahr ist, es nicht für die anderen wäre” (a .4). Dieser Subjektivismus und Relativismus setzt sich in einer anderen Richtung aber auch in der Weise durch, dass die menschliche Erkenntnis, Verstand und Vernunft, als die einzige Quelle für die Wahrheit angesehen wird, so dass eine höhere Wahrheit, welche die Offenbarung bringt, nicht anerkannt werden kann. Wird sie aber doch anerkannt, so gibt es seitens der Subjektivität den neuen Einwand, dass es sich um geheimnishafte Wahrheit handele, die nie ganz zu begreifen sei, so dass sich darüber die Menschen, je nach der eigenen Erfahrung, ihre eigene Meinung bilden könnten.

Eine absolute, unwandelbare Wahrheit kann dann auch innerhalb des Glaubensbereiches schwerlich angenommen werden. Hier meldet sich dann auch der andere Gedanke von der sogenannten “Geschichtlichkeit” aller Wahrheit an, die je nach Zeit und Stunde wandelbar erscheint. Mit dieser Geschichtlichkeit ist aber auch der Ausfall eines objektiven Tatbestandes verbunden, der für die ganze Problematik ausschlaggebend ist: In diese unsere begrenzte, endliche, relative Geschichte kann angeblich nichts Unendliches, Absolutes, Göttliches eingehen, womit die Menschwerdung Gottes geleugnet und in den Bereich menschlicher Erfindung verwiesen wird.

Das Dokument spricht hier von “Behauptungen und Hypothesen” (a. 4), wobei man hinzufügen kann, dass sie heute in einem mächtigen Zweig der Theologie, der sogenannten “Theologie der Religionen”, ihre weitere Ausformung erfahren haben. Diese Theologie tritt für einen legitimen Pluralismus unter den Religionen ein, die alle als gleichwertig anerkannt werden, so dass das Christentum seinen einzigartigen universalen Anspruch aufgeben muss. Einer ihrer Hauptstreiter, der Anglikaner J. Hick, findet dafür den programmatischen Satz: “Wir müssen dahin gelangen, dass wir das Christentum als einen Teil des pluralistischen Systems der Religionen erkennen”.

Deshalb ist es so bezeichnend und folgerichtig, wenn noch entschiedenere Vertreter dieses theologischen Religionspluralismus zu der Auffassung gelangen, dass wegen der Anerkennung der Religionen als legitimen Heilswegen die Einzigkeit “Jesu”, den man vorwiegend unter diesem Namen einführt, aufgegeben werden müsse, um Gott allein als den einzigen Initiator des Heils anzuerkennen. Es gilt, von der dem modernen Menschen so schwierigen Christologie loszukommen und allein auf die Größe und Kraft Gottes zu setzen. So kommt der religionstheologische Pluralismus folgerichtig von der Christologie als Lehre vom Gottmenschen ab und gelangt zu einer natürlichen Gotteslehre, die sogar in ein gänzlich apersonales Gottesverständnis abgleiten kann – alles Folgen des Grundfehlers, der darin gelegen ist, dass man mit der Einzigartigkeit Jesu Christi nicht ernst macht.

Diese Tendenz zur Gleichsetzung aller Religionen als legitimen Heilsweg hat sich neuerdings katholischerseits am entschiedensten bei dem Fundamentaltheologen P. Schmidt-Leukel besonders drastisch durchgesetzt, der in seiner “Theologie der Religionen” die Meinung propagiert, dass “heilshafte Verbindung mit Gott in mehreren religiösen Traditionen in unterschiedlicher, aber prinzipiell gleichwertiger Form bezeugt und vermittelt wird” . Nach ihm lassen sich alle “religiösen Traditionen als potentielle Zeichen und Werkzeuge göttlichen Heilswirkens verstehen” , so dass folgerichtig auch Christentum und Kirche keinerlei Überlegenheit gegenüber den anderen Religionen mehr beanspruchen können.

Der tiefste Grund für diesen theologischen Pluralismus liegt bei diesem Autor in der Annahme, dass in der Vielfalt der Religionen ein geistiger Reichtum angelegt sei, der die Größe Gottes widerspiegele – ein verführerischer Gedanke, der auch noch durch ein poesievolles, schmeichlerisches Bild nahe gebracht wird. Der Autor sagt: Man muss nicht meinen, “dass es nur eine einzige Blume gibt, die die schönste aller Blumen ist. Ja, es macht die Klasse der schönsten Blumen noch schöner, dass sie in sich vielfältig ist”. Aber nicht nur dieser Vergleich, sondern die ganze gedankliche Konstruktion beweist, dass in diesem Entwurf die Frage nach Christus wie die Wahrheitsfrage überhaupt keine Rolle mehr spielen. Wie subtil die Argumentation ausfällt, lässt sich an der Behauptung ersehen, dass Christus zwar ein Mittler, aber nicht der Mittler oder gar “der einzige Mittler” (1 Tim 2,5) der Menschen zu Gott hin sei.

s wird nicht überraschen, wenn man feststellt, dass dieser Befund aus dem Bereich der Religionswissenschaft sich auch in der christlichen Religionspädagogik auswirkt. Hier wird von einem Autor der Islam unterschiedslos als “Offenbarungsreligion” bezeichnet. Auch sonst wird in der katholischen Literatur nicht selten das Geschehen zwischen Allah und Mohammed als eine Offenbarung ausgegeben vermittels des Erzengels Gabriel. Ähnliche Anschauungen finden sich auch in bibeltheologischen Texten.

Wem die Erhaltung der authentischen Lehre der Kirche ein Anliegen ist, wird nach all dem Gesagten die Absicht und die Berechtigung der “Erklärung” zu würdigen wissen. Aber dem Anliegen ist erst recht gedient, wenn man sich auch die Begründung des Schreibens für das Festhalten an der Einzigkeit und Universalität des Christlichen zu eigen macht.

2) Die Begründung in Christus und in der christusverbundenen Kirche

Das Hauptanliegen der Erklärung ist die Einsichtnahme und die tiefere Begründung dieser universalen Einzigkeit der Kirche. Sie darf nicht als weiter nicht begründbare Selbstbehauptung der Kirche erscheinen, was sofort den Verdacht des Übertriebenen und des Anmaßenden hervorrufen müsste. Die Begründung wird mit zwei Gedanken oder Wahrheiten gegeben, die einmal auf Christus selbst und sein Werk gehen, zum anderen auf die innere Verbindung Christi mit der Kirche. Danach ist das tiefste Fundament dieser Auszeichnung der Kirche als einziger und universaler “im Mysterium Jesu Christi” gelegen (a. 5), in dem als Menschgewordenen “die ganze Fülle Gottes” wohnt (Kol 2,9f.). Er ist das endgültige, personale Wort Gottes an die Menschheit, die vollendete “Selbstoffenbarung Gottes”, die den Menschen “die Fülle der Wahrheit” bringt. Es handelt sich dabei um eine “universale und letzte Wahrheit”, die nicht mehr als “begrenzt, als unvollständig, als unvollkommen und komplementär zu jener in den anderen Religionen” angesehen werden kann, weil sie ihren “Quellgrund in der Person des fleischgewordenen Wortes”, im Heilsmysterium Gottes hat (a. 6).

Dieses Mysterium oder Geheimnis, das nur im Glauben recht zu erkennen ist, und die Taten und Wort Jesu Christi “von seiner Menschwerdung bis zu seiner Verherrlichung” umgreift, ist in den inspirierten Büchern der Hl. Schrift des Alten und Neuen Testamentes bezeugt, welche die “Wahrheit über Gott” zwar “in menschlicher Sprache” ausdrücken, wodurch aber diese “Wahrheit nicht begrenzt oder beseitigt wird” (a. 6). Die Hl. Schrift dokumentiert dabei auch die einzige Heilsordnung, in welcher Jesus Christus der einzige Mittler und Erlöser ist (a. 11).

Das einzige und universale Heilswerk Christi steht aber, gemäß der Einheit der göttlichen Personen in der Dreifaltigkeit, in einer inneren Beziehung und in Einheit mit dem Heiligen Geist, welcher der Geist Christi ist. Deshalb dürfen das Werk Christi und das des Heiligen Geistes voneinander nicht getrennt werden, wie das eine neuere Theorie aus dem Bereich der Theologie der Religionen unternimmt, die eine andere Heilsordnung allein im Heiligen Geist begründen möchte und damit die Verbindung mit dem historischen Christus wie mit den anspruchsvollen Wahrheiten von seiner jungfräulichen Geburt, seinem heilsmittlerischen Tod und seiner Auferstehung von den Toten aufgeben möchte. Allerdings wird dem Heiligen Geist aufgrund seines Geistseins in der “Erklärung” eine besondere Bedeutung im Heilswerk zuerkannt. Hier schon fällt der für das Verhältnis der christlichen Offenbarung zu den Religionen entscheidende Satz, dass Christus “mit und durch seinen Geist über die sichtbaren Grenzen der Kirche hinaus auf die ganze Menschheit” wirkt (a. 12).

Die Existenz dieser einen in Christus zentrierten und im Heiligen Geist ausgeweiteten Heilsordnung wird mit einer Fülle von biblischen Worten begründet, unter denen die Aussagen des hl. Paulus und des hl. Johannes herausragen und in denen Christus als der Mittelpunkt und das Ziel der ganzen Menschheitsgeschichte ausgegeben wird. Nach dem Völkerapostel ist Jesus Christus “der eine Herr, durch den alles ist und wir durch ihn” (1 Kor 8,5f.: a. 13). Für Johannes ist dieser Christus nach seinem eigenen Wort “das Alpha und das Omega, der erste und der letzte, der Anfang und das Ende” (Offb 22,13: a. 15). Diese Aussagen der Hl. Schrift, die in hymnischer und emphatischer Rede gehalten sind, werden durch die Tradition der Kirche authentisch interpretiert und gefestigt. Diese Aufgabe erfüllten vor allem die frühen christlichen Konzilien wie Nizäa (i. J. 325) und Chalkedon (i. J. 451), die Christus einmal als den gleichwesentichen Sohn des Vaters (DS 150) bekennen und zum anderen als wahren Gott und wahren Menschen in der einen Person des Logos (DS 300-302) verkünden, was das Zweite Vatikanum bekräftigte (Gaudium et Spes, 22: a. 10).

Ökumenische Auseinandersetzungen
Mit diesem Bekenntnis zur Einzigkeit und Universalität des Gottmenschen Jesus Christus ist der Grund gelegt für die inhaltlich weitergehende Behauptung, dass diese Einzigkeit und Universalität auch der Kirche Jesu Christi zukommt. Dieser zweite Gedanke und Erklärungsgang muss im Hinblick etwa auf die ökumenische Situation sogar als der schwierigere und problematischere angesehen werde; denn wie auch die Reaktion der evangelischen Theologie und Kirche auf die “Erklärung” zeigt, kann die reformatorische Gläubigkeit die Einzigkeit und Universalität des Gottmenschen durchaus anerkennen, aber sie kann sie so nicht auf die Kirche anwenden. An diesem Punkte ergeben sich nach wie vor ernste Auseinandersetzungen.

Dieser wichtigen Problematik entsprechend, legt die “Erklärung” großen Wert darauf, die katholische Glaubensauffassung bezüglich der einzigen Kirche, die bei vielen schwankend geworden ist, zu befestigen und zu erhärten. Das entscheidendste Gewicht kommt dabei dem Gedanken von der innigsten Bindung zwischen Christus und der Kirche zu. Dabei braucht der Gedanke der Gründung der Kirche durch Jesus Christus keine so besondere Ausführung zu erfahren. In der Tat ist die Gründung der Kirche durch Jesus Christus heute eigentlich kein so schwerwiegendes Problem mehr, wenn man dieses Geschehen, geschichtlich denkend, nicht auf einen einzigen punktuellen Akt zurückführt, sondern auf ein zeitliches Werden, das mit der Sammlung der Zwölf beginnt und bei der Geistsendung an Pfingsten endet.

Auch erbringt die Gründung der Kirche, wie man zur weiteren Erklärung sagen kann, als äußeres Geschehen nicht schon die innere Lebensbindung an Christus, die besagt, dass “Christus selbst in der Kirche und die Kirche in ihm ist” (Joh 15, 1ff; Gal 3,28; Eph 4,15; Apg 9,5) und dass zwischen beiden eine Lebenseinheit wie zwischen Haupt und Gliedern in einem Leib besteht. Hier nimmt die “Erklärung” den biblischen Gedanken vom geistigen Leib Christi auf, der in der Kirche fortbesteht. Als Leib ist die Kirche von Christus innerlich untrennbar, wie umgekehrt auch Er selbst sich von der Kirche nicht wieder trennen kann. Der gleiche Gedanke, der hier in einem organischen Realbild ausgedrückt wird, findet einen mehr personalen Ausdruck in der Analogie von der Kirche als der Braut Christi, die mit ihm eine innere Einheit bildet (a. 16). Der Hauptsatz innerhalb dieses Gedankenganges lautet dann: “Die Fülle des Heilsmysteriums Christi gehört auch zur Kirche. Jesus Christus setzt seine Gegenwart und sein Heilswerk in der Kirche fort” (Nr. 16). Diese unauflösbare organische Einheit besagt zwar keine Identität Christi mit der Kirche, auch keine Personeinheit wie beim menschgewordenen Gottessohn, wohl aber eine realdynamische Verbundenheit in einem Leib, in dem Christus die Stellung des Hauptes einnimmt. So setzt sich die Einzigkeit Christi in der Einzigkeit der Kirche fort. “Wie es nur einen einzigen Christus gibt, so gibt es nur einen einzigen Leib Christi …” <die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche>” (a. 16).

Es sind gerade diese strengen eindeutigen Formulierungen, welche das nun folgende Problem des Verhältnisses der Kirche zu den Religionen ausmachen. Es stellt sich nämlich die Frage, ob angesichts der stark betonten Einzigkeit und Exklusivität der Kirche noch Raum bleibt für ein positives Verhältnis zu den ganz anders gearteten Religionen der Welt oder ob hier nur die Behauptung einer letzten Beziehungslosigkeit übrigbleibt.

Beziehung zu nicht-christlichen Religionen

3) Die Religion und das Heil

Mit dieser strengen Fassung der universalen Einzigkeit Christi und der Kirche verschließt sich die “Erklärung” dennoch nicht den Blick auf die anderen Religionen und d. h. auf die ganze nichtchristliche Menschheit, die auch in der recht gedeuteten kirchlichen Tradition niemals grundsätzlich von der Gnade und dem Heil ausgeschlossen wurde. Die “Erklärung” nimmt hier den traditionellen Gedanken vom allgemeinen Heilswillen Gottes auf, der in 1 Tim 2,4 die klassische Formulierung gefunden hat: “Gott will, dass alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen”. Dieser Wille ist schon nach der traditionellen kirchlichen Lehre selbstverständlich immer als ein tatkräftiges und effizientes Wollen von Seiten Gottes verstanden, nicht nur als guter Wunsch oder als bestimmte Absicht; er führt zum Erfolg, insofern jeder Mensch, auch der Nichtchrist, die notwendige göttliche Gnade zur Erreichung seines letzten Zieles erhält. Die Kirche ist zwar in Jesus Christus der wesenhafte Ort des Heils in Christus, aber die Gnade ist nicht auf die Kirche beschränkt und wird auch denen zuteil, die nicht Glieder der Kirche sind, unter der Voraussetzung eines Lebens nach dem guten Gewissen. Das aber hängt mit dieser von Gott gesetzten Heilsordnung zusammen, näherhin mit dem Moment und Charakter, der vorher als Universalität sowohl Christi als auch der Kirche ausgewiesen wurde.

Neben dieser mehr im individuell-subjektiven Bereich liegenden Begründung nimmt die “Erklärung” aber auch Bezug auf den ins Objektive und Universelle weisenden Gedanken vom Wesen und von der Existenz des “Reiches Gottes”, das eine weitere Dimension besitzt als die sichtbare und institutionelle Kirche. Es beinhaltet das herrscherlich-heilshafte Walten Gottes über Welt und Menschheit seit Anbeginn bis hin zur endzeitlichen Vollverwirklichung. Es ist Ausdruck der göttlichen Dynamik, “die alle einbezieht: die einzelnen, die Gesellschaft, die ganze Welt” (a. 18), an der alle Anteil haben können. Nur ist dieses Reich wiederum nicht von Christus und der Kirche zu trennen; denn in Christus ist nach den Vätern das Reich Gottes in Person erschienen, und die Kirche ist die “keimhafte und zeichenhafte” Darstellung wie auch das Werkzeug des Reiches Gottes, das die Menschheit nicht entbehren kann.

Kirche bietet „Inklusivismus“
In Verbindung mit dem Reich-Gottes-Gedanken erfährt die Universalität der Kirche eine zusätzliche Steigerung. So wird verständlich, dass die in der Kirche in Christus zusammengefassten Gnaden auch über die Grenzen der Kirche hinaus wirksam werde. Die Kirche hat deshalb “eine unumgängliche Beziehung zum Heil eines jeden Menschen” (a. 20), so dass gesagt werden kann, dass Begnadung und Errettung auch außerhalb der Kirche geschieht, aber nicht ohne sie. Begnadung und Rettung geschieht in tief innerlicher, mystischer oder geistiger Weise durch die Kirche, durch ihr gott- und christusförmiges Dasein und Wirken. Sie wird den einzelnen auf “Wegen” zuteil, die allein Gott weiß (a. 20), auch in den Religionen.

Damit aber werden diese Religionen als solche nicht etwa im Sinne der erwähnten pluralistischen Theologie der Religionen der einzigen Kirche, der einzigen ordentlichen Heilsgemeinschaft und dem einzigen von Gott gebahnten Heilsweg gleichgestellt. Es wird nur gesagt, dass der universale Logos Jesu Christi im Heiligen Geist die Kraft besitzt, über die Kirche hinaus Samen des Wahren, des Guten, des Heiligen auszubreiten, die auch in den Religionen partiell vorhanden sind, ohne dass diese Religionen etwa als Heilswege und Heilsanstalten gleich der Kirche anerkannt würden. Hier schließt sich die “Erklärung” dem Konzil und der nachkonziliaren Lehre der Päpste an, die betonen, dass die Kirche anerkennt, was in den Religionen wahr und heilig ist, insofern dies “ein Strahl jener Wahrheit ist, die alle Menschen erleuchtet”.

Allerdings sagt die “Erklärung” deutlicher, als es das Konzil tut, dass damit die Religionen nicht von sich aus und in sich heilswirksam sind, weil sie in ihren Riten, Lehren und Praktiken auch gegen den Glauben gerichtet sind. Man kann diesen Gedanken verallgemeinern und in der Formel ausführen: Die Moslems oder Buddhisten werden nicht durch Mohammed oder Buddha gerechtfertigt, sondern durch Christus und die Kirche.

Will man diese Begründung auf einen griffigen Ausdruck bringen, so dürfte man sagen: Die Kirche vertritt im Verhältnis zu den Religionen keine Exklusivität, keinen Exklusivismus, sondern das Gegenteil: einen sogenannten Inklusivismus. Er besagt, dass die in den Religionen vorhandenen Heilskeime und Samen Christus und der Kirche aufgrund ihrer Universalität zugehören und die betreffenden Menschen unter die Geretteten eingeschlossen sind. Damit bleibt es bei der Grundeinstellung von Schrift und Tradition bezüglich der einzigen ordentlichen Heilsanstalt und des einzigen Heilsweges der Kirche. In hochtheologischer Form drückt das die “Erklärung” in dem Satz aus: “Man kann ihnen (den Religionen) nicht einen göttlichen Ursprung oder eine Heilswirksamkeit ex opere operato zuerkennen, die den christlichen Sakramenten eigen ist” (a. 21). Es wird sogar gesagt, dass manche Riten in den Religionen mit abergläubischen Praktiken und Irrtümern einhergehen, “die ein Hindernis für das Heil darstellen” (a. 21). So wird dann auch von einer “objektiv schwer defizitären Situation” bezüglich des Heils bei den Menschen anderer Religionen gesprochen.

Antworten auf bekannte Einwände
Diese der heutigen christlichen Durchschnittsauffassung von den Religionen widersprechende Eingrenzung ihrer Bedeutung wird sich allerdings am Schluss zwei kritischen Einwänden ausgesetzt sehen, die einander an sich widersprechen, aber in der handfesten Polemik leichthin miteinander verbunden werden. Der eine Vorwurf geht auf die angebliche Ängstlichkeit dieser christlichen Position und ihre Furcht vor dem Verlust des Exklusivanspruchs des Christentums, der andere zielt auf den scheinbaren Triumphalismus dieser Grundeinstellung. Dem ersten Einwand ist entgegenzuhalten: Es wäre, im Gegensatz zu diesen Einwänden, unrealistisch, angesichts der heutigen Auflösungserscheinungen des Christentums gegenüber der ideologischen Überbewertung der Religionen keine legitime christliche Sorge empfinden zu dürfen. Man darf sich hier an das Wort des in diesen Dingen nicht unbewanderten Journalisten Peter Scholl-Latour erinnern, der einmal sagte: “Ich fürchte nicht die Stärke des Islam, sondern die Schwäche des Abendlandes. Das Christentum hat teilweise schon abgedankt. Es hat keine verpflichtende Sittenlehre, keine Dogmen mehr. Das ist in den Augen der Muslime das Verächtliche am Abendland”.

Was aber den Vorwurf des Triumphalismus angeht, so verkennt er den Grund des christlichen Höchstanspruchs auf dem einzigen Heilsweg. Er kommt nicht aus Selbstüberheblichkeit, sondern aus dem Gehorsam des Glaubens gegenüber der inneren Größe des Christusgeheimnisses, das in der Kirche weitergeht als dem einzigen wahren Erlösungsweg. Daraufhin wird das Heil zwar nicht allein in der Kirche geschenkt, wohl aber durch die Kirche auf überempirischem Wege vermittelt, näherhin durch den in der Kirche wirkenden Christus im Heiligen Geist. Er kann seine Gnade geheimnishaft über die Grenzen seines geistigen Leibes hinaus austeilen. Für die Christen aber ergibt sich daraus kein Anlass zu Stolz oder Überheblichkeit, zumal, wenn sie bedenken, (was heute leider zu wenig bedacht wird), daß auch sie keine Garantie für den sicheren Gewinn des Heils besitzen.

Die auf dem einzigen wahren Heilsweg Stehenden haben so keinen Grund zu einem triumpfalistischen Gehabe, sondern nur zu höherer Verantwortung gegenüber den anderen; denn in dem Verhältnis des einen Heilsweges zu den vielen Religionen verbirgt sich zuletzt das seit Anfang der Heilsgeschichte wirksame Gesetz der Stellvertretung, des Einstehens der sichtbar Berufenen für die sichtbar Nichtberufenen, der Wenigen für die Vielen, des Einen für alle. Papst Pius XII. hat diesen Stellvertretungsgedanken einmal als ein “abgründiges Geheimnis” bezeichnet. Es macht den Christenglauben nicht leichter, aber es gewährt ihm eine Tiefe, in welcher der Christ den festen Grund der Wahrheit findet. Im Übrigen entgeht der christliche Standpunkt auch deshalb dem Vorwurf der Überheblichkeit, weil diesen sogenannten Absolutheitsanspruch faktisch alle großen Religionen erheben, neuerdings mit besonderer Emphase der Islam. Es hängt mit der Energie der einmal erkannten religiösen Wahrheit zusammen, dass der Mensch stets radikal ernst nimmt und als absolut deutet.

Das Christentum ist freilich in der Lage, diese Erfahrung mit einem Argument zu begründen, das den anderen nicht zu eigen ist, sondern das sie entschieden ablehnen, ein Argument, an dem dann rein objektiv auch die Überlegenheit des Christentums theoretisch erkannt werden kann: Es ist die hier herausgestellte Wahrheit von der Menschwerdung Gottes und ihrer Auswirkung in der Kirche. Diese Wahrheit nehmen die Religionen bekanntlich nicht an. Aber als Möglichkeit können sie den Gedanken doch nicht ausschließen, wie etwa M. Buber die Idee eines Gottmenschen nicht ausschloss. Wenn man das tut, räumt man ungewollt dem Christentum der Idee nach doch eine Sonderstellung ein, auch wenn man ihre Realisierung leugnet. So gesehen, bedeutet der Anspruch des Christentums auf seine Einzigkeit keine Anmaßung, sondern eine in der Religionsgeschichte angelegte Möglichkeit, von deren Realität die Christen im Glauben überzeugt sind, die sie aber auch entschieden ins Leben übersetzen müssen.

Danke schön.

München, am 21. Mai 2005

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