Wahrheit – Oder ist alles relativ?

Wolfram Schrems

AOvStG Bericht Arbeitskonvent 2013

„Was ist Wahrheit?“ fragte einst Pilatus. Er wartete, wie wir wissen, die Antwort nicht ab. Es war die zynische Überheblichkeit des römischen Imperiums und dessen relativistischer Staatsdoktrin, die diese Frage aufwarf, aber an der Antwort letztlich nicht interessiert war.

An der Fragestellung interessiert waren jedoch über sechzig Personen, die sich von 29. August bis 1. September 2013 zum 13. Sommerlichen Arbeitskonvent des Alten Ordens vom St. Georg (genannt Orden der vier römischen Kaiser) in Passau versammelten.

Der Alte Orden vom St. Georg ist eine europaweite elitäre Gemeinschaft mit Sitz in Wien. Ihr Selbstverständnis formuliert sie so: „Die Ordensritter verstehen sich als Glieder einer dem Ideal des ‚miles christianus‘ verpflichteten, traditionsbewussten und zugleich zukunftsorientierten Denkwerkstatt, die im Spannungsfeld gesellschaftspolitisch richtunggebender Themen zur wahrheitsgetreuen Meinungsbildung beiträgt.“

Unter dem Vorsitz des Gouverneurs, Prinz Gundakar von und zu Liechtenstein, der in seinem Eingangswort zur Gewissenserforschung aufrief, und unter der Moderation des Ordenskanzlers, Graf Peter zu Stolberg-Stolberg, der mahnte, dass die Zivilisation zusammenbricht, wenn die Wahrheit verschwindet, wurden in vier Vorträgen verschiedene Aspekte der Wahrheitsfrage profund vorgetragen und diskutiert. Die aus Deutschland, Österreich und den Niederlanden angereisten Ordensmitglieder und ihre Angehörigen, sowie Gäste und Freunde des Ordens, jeweils aus vielen Berufen und Fachrichtungen (unter ihnen akademische Lehrer, Ärzte, Juristen, Ökonomen, Unternehmer und Verleger), vertieften sich in diese Frage, von deren Beantwortung Gerechtigkeit oder Unrecht in einem Staat und Gelingen oder Misslingen eines Menschenlebens, ja, Heil oder Unheil, abhängen. Für die persönliche Nacharbeit post conventum ermöglichte ein reichlich bestückter Büchertisch die literarische Vertiefung der vielen an gesprochenen Themenfelder.

Wahrheit im Verhältnis zu Gut und Schön

Den Eröffnungsvortrag hielt Prof. Dr. Thomas Stark, Philosophieprofessor an der philosophisch theologischen Hochschule St. Pölten und an der philosophisch theologischen Hochschule Benedikt XVI. im Stift Heiligenkreuz bei Wien. Die Grundaussage wird schon im Titel ausgesprochen: Wahrheit im Verhältnis zu Gut und Schön – Nur das Wahre ist das Gute, nur das Gute ist das wahrhaft Schöne. Stark analysierte in klassischer und dadurch immer aktueller Form die Relation von Gut, Wahr und Schön. Die formelle Struktur des Begriffes Gut sei eine bestimmte Form der Angemessenheit, die vom jeweiligen Objekt abhänge. Auch Wahr und Schön haben mit Angemessenheit zu tun. Eine Sache ist schön, wenn sie eine angemessene Gestalt aufweist. Das resultiert im splendor formae (Glanz der Gestalt). Die forma ist aber zugleich das innerste Wesen einer Sache. Wenn die Gestalt ihrem Wesen angemessen ist, wenn sie also ihr innerstes Wesen verwirklicht, ist sie eben schön. Dasselbe trifft auf organische Systeme bzw. Gesellschaften zu: Wir können uns nicht per „Gesellschaftsvertrag“ auf Beliebiges einigen. Es ist etwas nur gut, wenn es in angemessenen Beziehungen zu anderem steht, d. h., wenn es „in Ordnung“ ist. Thomas Stark betonte, dass das Sollen natürlich immer vom Sein abhängt. Der letzte Beurteilungsmaßstab führt zum Begriff der Wahrheit. Auch sie ist eine Form der Angemessenheit. Wahrheit hat zwei grundlegende Bedeutungen: Einerseits geht es um die Qualität von Aussagen: Adaequatio rei et intellectus (Übereinstimmung von Sache und erkennendem Verstand). Wahre Aussagen gründen in wahren Erkenntnissen. Wir erkennen immer begrifflich, d. h. wir erkennen etwas immer als etwas. Die Wirklichkeit ist dem menschlichen Erkenntnisvermögen angemessen, sonst könnten wir sie nicht lesen. Es gibt somit eine „Wahrheit der Dinge“ (Josef Pieper). In unserem alltäglichen Sprachgebrauch sagen wir gelegentlich, etwa bezüglich einer mangelhaft zubereiteten Speise oder eines fehlerhaften Werkstücks: „Das ist aber nicht das Wahre!“ Eine Sache kann also nur als wahr bezeichnet werden, wenn sie gut ist, und umgekehrt. Nur wenn eine Sache ihr Wesen angemessen verwirklicht, wenn sie also wahr ist, kann das Wesen sichtbar aufleuchten und seinen Glanz verbreiten, welcher der Schönheit eigen ist. Der splendor formae entspricht dem splendor veritatis, dem „Glanz der Wahrheit“ (vgl. die gleichnamige Enzyklika von Papst Johannes Paul II.), und der species boni (Gestalt bzw. Idee des Guten). Daher ist das Schöne von so großer Bedeutung. Platon sagte, dass allen Dingen Konzepte („Ideen“) zugrunde liegen. Auch die Wandlungsprozesse in der Wirklichkeit zeigen die Existenz des Grundkonzeptes an. Die Verlaufsmuster von Wandlungsprozessen sind gleich und daher prognostizierbar. Man kann auch sagen, dass 3 Prozesse nachträgliche Realisierungen von ihnen zugrundeliegenden Verlaufsmustern sind. Die Gestalt einer Sache steht ja fest, bevor sie sich ausbildet, sei es im organischen oder im anorganischen Bereich. Es spricht somit alles dafür, eine allgemeine Ordnung der Dinge anzunehmen, die alles umfasst, was existiert. Der Wirklichkeit liegt ein Plan zugrunde, der vor der Entwicklung da ist. Prof. Stark erwähnte ein Gespräch mit dem weltbekannten Physiker Anton Zeilinger, der zu dem Ergebnis gekommen sei, dass Materie letztlich nicht wiederum aus Materie, sondern aus Information bestehe. „Im Prinzip“ ist eben der Logos, wie es am Beginn des Johannesevangeliums heißt. Zudem stellt man eine Intentionalität im Seienden fest: Die Überführung der Möglichkeit in die Realität läuft nach einem Plan. Informationsverarbeitung und Zielgerichtetheit lassen auf Intellekt und Willen schließen. Diese Instanz nennen wir Gott, den Grund aller Wahrheit, das summum bonum (höchstes Gut) und Quelle aller Schönheit. Daher ergibt sich die primäre Aufgabe des Menschen daraus: Er soll Gott erkennen, ihn lieben, ihm dienen und dadurch seine ewige Glückseligkeit erlangen. Wenn nun der Mensch nicht nur Gott dienen muss, um zum Ziel zu gelangen, sondern auch der Mensch Abbild Gottes ist und wenn Gott in Christus Mensch geworden ist, sollte es klar sein, worin die Aufgabe des Menschen in Welt und Geschichte besteht, nämlich die Welt der Königsherrschaft Christi, des menschgewordenen Gottes, zu unterwerfen. In diesem Sinne schloss Stark mit dem Ruf der mexikanischen Cristeros, die sich der Diktatur der Relativisten ihrer Zeit widersetzten: Viva Cristo Rey!

Bei diesem Vortrag handelte es sich nicht um eine rein akademische Spielerei: Die klassische, gesunde und vernünftige Metaphysik ist in der allgemeinen Verwirrung mittlerweile revolutionär geworden – oder konterrevolutionär. So ist auch Stark massiv gegen die „Bipolarität“ bzw. den Dualismus aufgetreten, wie er durch Nietzsche, Hegel und den Satanismus ins gegenwärtige Bewusstsein gelangt ist. Die Negation besitze keinerlei Produktivität – und keinerlei Legitimität. Dass aus einer Antithese eine Synthese werde, sei eine Illusion. Die echte Philosophie, so Stark, sei immer gegen die relativistische Sophisterei und ihre latente Willkürherrschaft gerichtet, wie sie zu allen Zeiten vorkomme.

Es ist schon an diesem Vortrag leicht zu erkennen, welches Potential in der traditionellen, von der Kirche übernommenen Metaphysik liegt und wie positiv es Gesellschaft und Kultur bis in die Legislatur, in die Politik und in die Ökonomie hinein prägen würde – wenn man es nur wollte!

Spin-Doctors und manipulative Psychotechniken

Die gesellschaftliche Relevanz eines richtigen und wirklichkeitsgemäßen Denkens wurde auch an der Darstellung von dessen Gegenteil deutlich: Die Schweizer Psychologin Dr. Judith Barben sprach über Spin-Doctors und manipulative Psychotechniken – Vertuschung der Wahrheit im Dienste der Macht. „Alles ist relativ“ sei in diesem Zusammenhang eine absichtsvolle Manipulation. Das behaupteten nur Leute, die das Licht scheuen. Die Psychologie sei als Instrument der Hilfeleistung entwickelt worden, sie dürfe daher nur zum Wohl des Menschen eingesetzt werden. Jegliche Manipulation mithilfe psychologischer Techniken sei daher unethisch. Was sind nun „Spin-Doktoren“? Es handele sich um einen neuen Typ des Public Relation-Experten (mithin gewissermaßen um professionelle Wortverdreher). Wie man nämlich beim Tennis dem Ball einen verdeckten „spin“ (Dreh) gebe, der sich beim Aufschlag dann unberechenbar verhält, so bekämen Nachrichten im Dienste der PR ebenfalls einen zunächst unerkennbaren Drall. Realitäten würden so dargestellt, um eigenen Zwecken zu dienen. Das Neuro-Linguistische Programmieren (NLP) sei eine amerikanische Psychotechnik (Richard Bandler und John Grinder), die mittels hypnotischer Botschaften, Bildern und Melodien direkt auf das Unterbewusste zugreife und das kritische Denken gezielt umgehe. Die Wurzeln liegen im US Geheimdienst OSS (Office of Strategic Services), der während des II. Weltkrieges Sozialwissenschaftler mit der Entwicklung psychologischer Kriegsführung (Psy-War) beauftragte. Auch der Name Milton Erickson ist hier zu nennen. Er war Hypnotherapeut und für seine meisterhaft vage und bildreiche Sprache bekannt. Seine Methode war, die Zielpersonen gleichsam in Trance zu versetzen und sie mittels unbemerkten und undeklarierten Botschaften und Anweisungen zu Dingen zu manipulieren, die sie nicht wollen. Das Pentagon machte sich diese „soft power“ (oder „smart power“) als Begleitmaßnahme zur „hard power“ zu eigen. Die Sprache wird ihres eigentlichen Sinnes beraubt und als Mittel von Ablenkung und Verwirrung eingesetzt. Einschläfernde Worte sollen exzessiv eingesetzt werden: „Vision“, „glaubwürdig“, „Zukunft“, „Fortschritt“. Die Gegner sollen mit Worthülsen wie „obsolet“, „extrem“ oder „umstritten“ eingedeckt werden. Künstlich eingesetzter Gruppendruck mit vorgetäuschtem Konsens und das Drohen mit Ausschluss aus der Gruppe sollen unbotmäßige Widerständler zum Nachgeben zwingen. Die ehemalige Grundschullehrerin und in eigener Praxis tätige Psychotherapeutin führte am Beispiel des Einflusses auf die Schweiz aus, wie sehr selbständige Staaten und Völker den Mächtigen ein Dorn im Auge sind. Hier werden Phrasen wie „Inseldasein“ und „sich selber ins Abseits bringen“ eingesetzt, um der Schweiz Konzessionen abzunötigen. Eine weitere manipulative Psychotechnik ist die „Zukunftswerkstatt“ bzw. die open-space-conference, bei der die Ergebnisse im Prinzip schon von vorneherein feststehen. Die manipulative Kraft von PR Büros, Beraterfirmen und Think-tanks, die sich nach Frau Barben geradezu seuchenartig ausbreiteten, ist aber dort gering, wo die Menschen direkt miteinander reden und eben die Wahrheit sagen. Besonders in ländlichen Gegenden sind die Menschen weniger empfänglich für die Halb- und Unwahrheiten geschickt verdeckter Medienpropaganda. Schließlich erörterte sie die Methoden, wie man sich gegen Manipulation schützen kann. Dazu gehört das persönliche Gespräch bzw. in Versammlungen und das Aufdecken und Aufklären. Stammt z. B. eine bestimmte Nachricht von einem Journalisten oder einem PR-Agenten? Auf keinen Fall sollen Ohnmachtsgefühle angesichts eines vorgetäuschten Konsenses aufkommen. Wenn die Menschen sich verbinden, haben Manipulatoren und Machtcliquen keine Chance. Aber auch die Manipulatoren haben ein Gewissen: Im überaus lebhaften Diskussionsteil erzählte Frau Barben, dass einer der bekanntesten Manipulatoren, William R. Coulson, ein Mitarbeiter des berühmten Carl Rogers, sich von seinem Wirken distanzierte und seinen verheerenden Einfluss z. B. auf katholische Ordensgemeinschaften tief bereute. Im Anschluss signierte die auch als Autorin bekannt gewordene Vortragende fast alle ihrer mitgebrachten Bücher zu den einschlägigen Themen. Während des gemeinsamen Abendessens gingen die Diskussionen an den einzelnen Tischen, wenn auch oft inhaltlich kontrovers, so doch in freundlicher Atmosphäre weiter bis in die späten Abendstunden.

Das Drama der Wahrheit im modernen Leben

Nach der hl. Messe in der nahegelegenen Klosterkirche der Pauliner und dem gemeinsamen Frühstück, begann der zweite Tag mit dem Vortrag des US amerikanischen Historikers Dr. John C. Rao von der St. John’s University, New York, zum Thema Das Drama der Wahrheit auf der Bühne des modernen Lebens – Katholisches Christentum als Alternative zur globalen Reise ins Nichts. In der Fülle an historischen Namen, Daten und Zusammenhängen bildete die Kritik der Krise der „modernen“ Welt den Roten Faden. Dr. Rao, auch Direktor des von Dietrich von Hildebrand gegründeten Roman Forum, stellte besonders das Werk des italienischen Jesuitengelehrten Luigi Taparelli d’Azeglio (gest. 1862) vor, der die berühmte Zeitschrift La Civiltà Cattolica gründete. Taparelli gilt als Schlüsselperson im Geistesleben des 19. Jahrhunderts, vor allem als Erneuerer des scholastischen Denkens. Nicht nur Freimaurer, Jakobiner und Atheisten waren an der Auflösung der katholischen Staaten schuld, auch die alten Monarchien selbst hatten beigetragen, Glauben und Staat zu unterminieren. Das Konzept einer „freien Kirche in einem freien Staat“ habe sich, so Rao wörtlich, als „katastrophal“ erwiesen. (Daher wäre die gleichlautende Formulierung im berühmten „Mariazeller Manifest“ von 1952 ebenso einer kritischen Überprüfung zu unterziehen.) Eine gründliche Analyse der Ursachen der Säkularisierung ergibt, dass auch die gemäßigten Staaten eine antichristliche Mentalität verbreiten. Auch Katholiken unterstützen eine Politik der Zerstörung des Katholischen. Mitte des 17. Jahrhunderts war die christliche Welt aufgrund der Verfehlungen von Katholiken in Teilgebiete auseinandergefallen. Die internationale Christenheit war verschwunden, die staatliche Welt von der Kirche losgelöst. In dieser Zeit etabliert sich das System der „konservativen Aufklärer“ nach dem Modell von Preußen und England. Die USA verstehen sich als eine auf religiöse Toleranz und Freiheit gegründete Gesellschaftsordnung, die gottgefällig und dem Menschenverstand entsprechend sei. Der mit seiner Dissertation über moderne europäische Geschichte in Oxford zum Dr. phil. promovierte Rao, mahnte dagegen die „vollumfängliche Tradition“ an: Das ganze Leben soll nach dem Vorbild des menschgewordenen Gottes geregelt werden. Taparelli sprach hier von „hypostatischem Recht“. Die Inkarnation Gottes bestätigt die Natur als grundsätzlich gut. Auch nach dem Sündenfall gibt es eben die lógoi spermatikói, die Vernunftkeime. Der hl. Justinus (gest. 165) und die Kirchenväter nach ihm haben darum die griechische Philosophie in den Dienst des Glaubens gestellt. Die durch die Erbsünde verletzte Vernunft muss aber tiefer geprüft und geheilt werden. Schon Sokrates wusste, dass hier ein Gott helfen muss. Rao betonte auch die Notwendigkeit gesellschaftlicher Körperschaften, die der Gnade und Vernunft unterworfen sind. Ohne sie ist der Mensch verwaist. Ohne sie kann er nicht zu Wahrheit und Freiheit gelangen. Gegen die Verchristlichung aller Lebensbereiche richtet sich eine „Große Koalition des ungeprüften Lebens“, deren Vertreter es ablehnen, die menschlichen Leidenschaften zu korrigieren. Katholiken und Sokratiker werden als „gescheiterte Verlierer“ verspottet, welche die erfolgreicheren Sophisten beneiden würden. „Wütender Stolz“ ist der eigentliche Genius der Revolution. Die Vernunft ist ihm ein Greuel. Unter dem Einfluss eines falsch verstandenen „Personalismus“ haben Katholiken begonnen, sich auf die Seite von Bewegungen zu schlagen, die sich als „vital“ erweisen – unabhängig davon, ob es wahr und gut ist: Die Bandbreite reicht vom risorgimento und dem Modernismus über den Marxismus und Faschismus bis zum pluralistischen „Amerikanismus“ unserer Tage. Diese Art der Zusammenarbeit ist gleichsam ein katholischer Aufputz für diese Bewegungen, ohne sie aber wirklich zum Guten führen zu können. Besonders aktuell ist der puritanisch kalvinistische Amerikanismus, der mit einem religiösen Anspruch auftritt. Wer sich dem nicht unterwirft, wird als Feind des Menschengeschlechts betrachtet. Darum hat eine Ansprache eines US Präsidenten immer Predigtcharakter. Taparelli hatte schon vor einem neuen, globalen Kaiserreich gewarnt. Dort würden nur Pseudo Freiheit, Pseudo Ordnung und Pseudo Recht herrschen. Rao schloss mit dem Hinweis auf die Nächstenliebe: Christen sind aufgerufen, „die Bösen nicht ungehindert zur Hölle fahren zu lassen“.

Es liegt auf der Hand, dass im Anschluss an den Vortrag (übrigens in deutscher Sprache gehalten) lebhaft diskutiert wurde. Der Referent, Verfasser zahlreicher Artikel und Bücher, gab noch weitere Informationen über die desaströsen Weichenstellungen durch Autoren wie Yves Congar, Jacques Maritain und Teilhard de Chardin, die dann über das II. Vaticanum tief in das allgemeinkirchliche Leben eingedrungen sind. Besonders einige Jesuiten waren an dieser „personalistischen“ Verwirrung beteiligt und erhoben die „Person“ über die Inhalte des Glaubens und über die Gebote. Damit blieb der Mensch auf sich zurückgeworfen. Rao schloss, dass der Pluralismus keine Möglichkeit für einen echten Dialog habe. Vielmehr befehle er, nur darüber zu sprechen, was man gemeinsam hat.

Wahrheit und Freiheit – Grundlagen unserer Kultur

Den geistigen Schlusspunkt des Arbeitskonvents setzte der Professor für Philosophie und Religionswissenschaft an der Theologischen Hochschule Basel und Inhaber des Romano Guardini Lehrstuhls an der LMU München, Dr. Harald Seubert, mit seinem profunden Referat Wahrheit und Freiheit – Theologisch philosophische Überlegungen zu den Fundamenten unserer Kultur. Er verstehe sich, obwohl Lutheraner, als Vertreter der Una Sancta. Seubert ging explizit auf die Pilatus Frage „Quid est veritas?“ ein und charakterisierte sie als Symbol der Gleichgültigkeit gegenüber der Wahrheit durch die römische Weltmacht. Die Wahrheit, das „Unverborgene“ (gr. a létheia), ist letztlich Offenbarung. Sie ist Mensch geworden. Darum kann sie nicht relativ oder zeitbedingt sein. Die „Moderne“ und die „Postmoderne“ wollten damit aber nichts zu tun haben. Drei Punkte hob der Religionsphilosoph hervor: (1) Erkenntnismäßig und seinsmäßig das Erste ist die „Idee des Guten“ (Platon). (2) Der Begriff der Wahrheit ist eo ipso absolut, zeit- und raumüberlegen und nicht destruierbar. (3) Die Wahrheit verpflichtet zu einem ordo amoris, einer Rangordnung der Liebe. Diese sei schon vorchristlich geahnt. Bei Platon und anderen vorchristlichen Denkern habe überdies eine Sehnsucht nach der Offenbarung Gottes bestanden. Sie seien schon zu wichtigen Erkenntnissen gelangt (so, dass es besser sei, Unrecht zu erleiden als Unrecht zu tun, wie es im Dialog Gorgias heißt). Freiheit sei nur im Zusammenhang mit Wahrheit zu verstehen. Eine Freiheit, die sich von der Wahrheit emanzipiert, sei absurd und selbstdestruktiv. Ein universaler Begriff von Freiheit sei erst auf Grundlage der Kirche möglich, wenn der Mensch als Bild und Gleichnis Gottes verstanden (bzw. wiederhergestellt) werde. Der evangelische Theologe Dietrich Bonhoeffer habe übrigens gesagt, dass man nur in Rom erkennen könne, was Kirche ist. Nur die Kirche hält die Diktatur des Relativismus (die „totalitäre Demokratie“ nach Jacob Talmon) noch auf. Sie sei der katéchon, der „Zurückhalter“ nach 2 Thess 2, 6f. Seubert wies auf die im englischen Sprachraum starke Bewegung der Radical Orthodoxy hin, die den Zusammenhang von Offenbarung und Vernunft wiedergewinnen wolle. Ausdrücklich kritisierte Seubert auch das Küngsche „Weltethos“ als unzulänglich. Brisant auch Seuberts Verurteilung des gottlosen, rein menschlichen Willkürrechts: Diktatorische Gesetze seien tyrannische Dekrete aber niemals Recht. Darum habe sich die katholische Soziallehre nur zögerlich der Demokratie genähert, weil sie um die Gefahr von Willkür und Manipulation gut wisse. Es gäbe ohnehin keine Neutralität des Staates gegenüber der Religion. Immer seien ideologische Prämissen maßgeblich. Europa ruht aber auf dem Christentum. Daher, so schloss Seubert, gilt der hl. Benedikt von Nursia zu Recht als Vater Europas. Im Diskussionsteil erwies sich Seubert als erstaunlich protestantismuskritisch. Er bezeichnete die Reformation als Vorwand zur Apostasie und den Protestantismus als nicht vollgültige Kirche. Als Desiderat, dem der Ordensgouverneur Prinz von Liechtenstein voll zustimmte, nannte er die akademische Zusammenarbeit, neue Lehrstühle und die Formung des akademischen Nachwuchses aus Gruppen wie der „Generation Pontifex“ (vormals Generation Benedikt). Er warnte noch einmal vor der Entkoppelung des Gewissens von Gott und kritisierte die Neuerungssucht in Politik und Kultur. Der neue Totalitarismus sage nach Hermann Lübbe eben: „Nicht das Selbstverständliche ist selbstverständlich, sondern die Neuerung.“

Die Tagung kann als großer Erfolg gewertet werden. Der Veranstalter hat sich mit der Auswahl der Referenten und den anspruchsvollen Diskussionen als ernstzunehmende Stimme in den geistigen Auseinandersetzungen der Gegenwart erwiesen. Einerseits hat die philosophisch-theologische Arbeit einen Sinn in sich (contemplatio). Andererseits ist die Reichweite einer solchen Tagung aufgrund deren Teilnehmer, die auf ihre Weise alle Multiplikatoren sind, erheblich. Sie können und sollen auf das aktuelle (gesellschafts-) politische und kulturelle Leben praktischen Einfluss nehmen. Dabei haben sie eine Botschaft: „Quid est veritas? – Was ist Wahrheit?“ Das war die zynisch-herablassende Frage des Pilatus. Er hätte die Antwort hören können. In dieser Frage ist die Antwort gleichsam enthalten, da sich aus den Buchstaben dieses Satzes ein Anagramm bilden lässt: „Est vir qui adest. – Es ist der Mann, der hier ist.“

MMag. Wolfram Schrems, Linz und Wien, katholischer Theologe und Philosoph, Katechist, Gastteilnehmer am Arbeitskonvent des Alten Ordens vom St.Georg.

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